Diskriminierung & Sichtbarkeit
Ich bin der
Meinung, dass "sich als Opfer fühlen" und das zu benennen, nur ein
Teil des Prozesses ist. Die Wut über die Ungerechtigkeit, aufzustehen,
anzuprangern und zu beschuldigen, ist ein Teil des Prozesses, ein wichtiger,
wie ich meine. Und er hat ja in den letzten Jahren auch viel Sichtbarkeit
geschaffen, Menschen Mut gemacht und Dinge verändert.
Aber der nächste Schritt, um sich zu befreien, muss notwendigerweise der sein,
sich aus der Opferrolle herauszubewegen und Gesellschaft aktiv und
eigenverantwortlich mitzugestalten. Dazu gehört auch, eigenes diskriminierendes
Verhalten zu hinterfragen. Denn selbst eine lesbische schwarte Behinderte (um
es mal mit Fanny van Dannens Worten zu sagen) kann sich als Akademikerin ohne
psychische Erkrankungen diesen Menschengruppen gegenüber diskriminierend
verhalten. Sie kann außerdem rassistische Ressentiments pflegen. Gegen weiße
Deutsche. Aber auch gegen Menschen aus anderen Ländern oder "Migranten,
die sich nicht anpassen".
Keiner von
uns ist nur Opfer, auch wenn manche Menschengruppen ganz sicher Ressentiments ausgesetzt
sind, die ihr Leben und ihren Alltag dermaßen heftig beeinflussen, dass es sich
manch anderer gar nicht vorstellen kann. Allerdings kann die eine Frau Sexismus
dennoch viel schlimmer erleben als die andere, auch Rassismus kann verschieden
schlimm erlebt werden. Das Umfeld und die Strategien, die man in diesem
entwickeln konnte, spielen eine große Rolle. Allerdings bedeutet eine gute
Anpassung und vermeintliches Nicht-leiden nicht automatisch, dass es auch so
ist.
Ein Schwarzer, der sich selbst als "Neger" bezeichnet und Witze
darüber macht, kann letzten Endes mehr Probleme haben, sich aus dieser Rolle zu
befreien, weil er sein Leid gar nicht mehr wahrnimmt. Vielleicht leidet er
wirklich weniger. Vielleicht ist ihm aber auch einfach nicht klar, dass er sich
selbst verleugnet. Das selbe bei Frauen, die sich in ihrem Verhalten an das
angepasst haben, was sie gelernt haben,
dass Männer es "gut finden".
Aber ich schweife
schon wieder total ab.
Mir ist es wichtig, auch andere Gruppen sichtbar zu machen. Ich habe in meinem Leben mit vielen Menschengruppen zu tun gehabt und einen recht guten Einblick in verschiedene Lebenswelten. Das finde ich spannend, bereichernd und das will ich nutzen, um verschiedene Lebenswelten sichtbarer zu machen für Menschen, die miteinander bisher wenig bis keinen Kontakt hatten.
Auch Menschen mit psychischer Erkrankung werden oft stigmatisiert und leiden mitunter sehr darunter. Und das, obwohl sie eh schon genug zu kämpfen haben und zum Teil als Kind unvorstellbare Dinge erlebt haben.
Arbeiter werden diskriminiert. Alte Menschen.
Somit kann auch ein heterosexueller konservativer weißer Mann durchaus Diskriminierungserfahrung haben. Und das durch links-orientierte. Er kann das vielleicht nicht so benennen, dass die es auch verstehen. Es ist ihm vielleicht selbst nicht bewusst, weil er sich mit "Diskriminerung" weder auseinandergesetzt hat noch sich damit identifizieren kann. Aber ihm wird auch nicht zugehört, sondern seiner Art zu sprechen und zu denken wird die Berechtigung genommen.
Wir haben
inzwischen Begriffe dafür, dass Frauen in Gesprächen übergangen und das, was
sie sagen, überhört oder ignoriert wird.
Wie nennt man es, wenn ein Akademiker das selbe mit einem Nicht-Akademiker
macht?
Ich möchte hier einen Raum für neue Sichtweisen an dieses Thema schaffen. Raum für Austausch, Reflexion und neue Herangehensweisen.
Es geht mir
nicht darum, das Leid von irgendwem zu relativieren. Sondern ich möchte
verschiedene Menschen zu verschiedenen Themen zu Wort kommen lassen.
Denn selbst im Diskriminierungs-Bereich ist die Sichtbarkeit viel zu einseitig.
Und es entstehen Missverständnisse ohne Ende und eine immense Festgefahrenheit
dadurch, dass immer nur ein Teil einer Menschengruppe öffentlich sichtbar ist
und somit der Eindruck entsteht, alle Menschen seien entweder "so"
oder "so".
Das bildet in keinster Weise die Realität ab.
Und es verhindert echten Austausch und ein harmonisches Miteinander.
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