Gedanken zu Freundschaft

Als ich etwa 18 war, hatte ich folgendes Zitat an meinem Schrank hängen:
"Kein Mensch ist dein Feind.
Kein Mensch ist dein Freund.
Jeder Mensch ist dein Lehrer."

Manchmal denke ich mir, dass man, wenn man das wirklich verinnerlicht hat, um einiges besser fährt im Leben.

Aber natürlich sehnen wir uns alle nach einem angenehmen Miteinander. Viele von uns vielleicht außerdem nach Verständnis und danach, aufgefangen zu werden.
Was eines der Probleme sein könnte.

Denn viele von uns suchen nach Verständnis und Halt an Punkten, wo wir ihn uns selbst nicht geben können. Ständig nach Bestätigung im Außen zu suchen, ist anstrengend. Und auch Halt: Eine Freundin kann zuhören, trösten, in den Arm nehmen, ihre Gedanken äußern. Aber im Endeffekt muss man den Prozess, in dem man steckt, selbst gehen, wo auch immer er einen hinführt.

Neulich hatte ich den Gedanken, dass diese ganzen modernen Serien nicht unbedingt ein realistisches Bild von Freundschaft vermitteln, vielleicht nicht einmal ein Erstrebenswertes. Wenn ich überlege, wie wichtig es in meiner Jugend war, eine beste Freundin zu haben.
Aber ist es nicht viel wichtiger als dieses Label, Menschen in seinem Leben zu haben, mit denen man sich wohlfühlt, die einen inspirieren, bei denen man sich frei fühlt, unbeschwert man selbst sein kann? Menschen, die sich mit einem in Prozesse begeben, wenn sie anstehen?

Denn genau da scheinen mir Freundschaften oft zu scheitern oder festzustecken. Und nicht nur Freundschaften, auch andere zwischenmenschliche Beziehungen, auch familiäre Beziehungen.

Mir ist manchmal, als hätten wir nie gelernt, uns außerhalb unseres Gleichgewichts zu begegnen. Vielleicht schaffen wir es oft nicht einmal, uns außerhalb unserer Fassade zu begegnen.

Sobald es einem scheiße geht, oder beiden, gerät etwas ins Ungleichgewicht. Und bei jedem Gespräch, bei jedem Treffen, bei dem man das überspielt, beiseite schiebt, bauscht es sich mehr auf. Weil Verständnis durch Wut ersetzt wird, weil sich Vorurteile festigen.

Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass man sofort über alles reden muss. Denn manchmal kann man es einfach nicht und manchmal ist es vielleicht auch einfach nicht dran. Manchmal muss man Dinge erstmal für sich selbst verstehen, begreifen, erstmal mit sich selbst ausmachen.

Aber zwei Dinge kann man anders machen in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen.
Zum einen eine Basis der Kommunikation schaffen, in der Raum dafür da ist zu sagen, was man denkt und zu zeigen, was man fühlt. Kleine Dinge nicht runterschlucken, sondern wohlwollend thematisieren. (Na klar, die wenigsten von uns haben gelernt, Dinge auszusprechen, ohne den anderen anzugreifen. Vielleicht mach ich dazu auch mal einen Text. Es hat mein Leben verändert, da Neues gelernt zu haben.)

Zum anderen: Dem anderen in Wohlwollen und Verständnis zu begegnen, auch wenn man gerade findet, dass er sich scheiße verhält. Das heißt ja nicht, dass man sich von dem Verhalten nicht abgrenzen und es scheiße finden kann. Aber oft entsteht daraus ja eine Beurteilung der ganzen Person, die viel negativer ausfällt als man sie vorher betrachtet hat. Und das ist ja eigentlich schon seltsam und auch nicht nötig.

Denn vor einem steht ja ein Mensch, den man kennt und liebt. Und auf einmal redet der nur noch von sich oder lästert viel oder hat ständig schlechte Laune... oder wie Leute halt reagieren, wenn sie ihm Ungleichgewicht sind. Wischt seine Krümel nicht mehr weg, wenn er zu Besuch ist oder was weiß ich.

Vielleicht könnte man ihn dann einfach mal in den Arm nehmen.
Oder ihn mal anstrengend sein lassen.
Oder einen schönen Ausflug mit ihm machen.
Oder ihn eine Weile auf dem Sofa übernachten lassen.
Oder ein langes intensives Gespräch führen und ihn fragen, was er braucht.

Manchmal hab ich das Gefühl:
Die einen wollen ihre Mitmenschen retten.
Die anderen rennen weg, wenn es schwierig wird.

Aber gibt es nicht auch was dazwischen? Ein sich-nahe-sein, ohne die eigenen Grenzen zu übertreten?
Ein für-einander-da-sein, ohne sich im anderen zu verlieren und sich selbst dabei zu vergessen?

Wir alle schleppen unsere Themen mit uns rum. Und wenn die unkontrolliert aufeinander prallen, wird's oft schwierig. Aber das muss nicht sein. Wir können lernen, anders mit diesen Dingen umzugehen. Mit mehr Liebe und Verständnis für uns selbst und andere.

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