Gedanken zu "links" und "rechts"

 

Die Einteilung in "links" und "rechts" ist mir zu eng.

In erster Linie sind wir doch Menschen.

Sicher, in Anbetracht des dritten Reiches scheint eine Abgrenzung notwendig. Aber waren es damals nur die Linken, die sich widersetzt haben?

Die politische Mitte ist durch die Hufeisentheorie konstruiert. Aber auch links und rechts bewegen sich in ihrem Denken innerhalb dieses Systems.

Mir ist der Begriff "Humanist" lieber. Noch lieber ist mir eine grundlegende Differenzierung, die die Individualität aller Menschen berücksichtigt.

Denn für "Rassismus", "Sexismus" und "Homophobie" haben wir Begriffe, aber ein Linker ist noch lange kein Feminist und er ist auch noch lange nicht gefeit davor, rassistische Ressentiments in sich zu tragen oder andere anderweitig zu unterdrücken, so sehr sich manche vielleicht auch bemühen. Nun kann er außerdem Alte diskriminieren, Nicht-Akademiker, und sich des Speziesismus schuldig machen. Und dann? Ist er trotzdem ein Linker und der Arbeiter, der vielleicht mehr rassistische Ressentiments hat, dafür aber mit seiner Frau in einer gleichberechtigten Ehe lebt und Alte auf Augenhöhe behandelt, gilt trotzdem als Rechter.

Vielleicht ist er anfälliger für manche Formen medialer Berichterstattung, weil er die intellektuelle Differenzierung nicht gelernt hat. (*Für andere wiederum kann er durchaus weniger anfällig sein.) Er kann die schwarze Community in seinem Ort aber trotzdem als seine Leute betrachten und kennt sie wahrscheinlich besser als der linke Akademiker, der nur akademische PoCs kennt.

Wer erhebt denn eigentlich das Wort für nicht-akademische PoCs?
Wollen die überhaupt PoCs genannt werden? Haben die das mitentschieden?

Je länger ich von der Uni weg bin und mich mit meinem dort erworbenen Wissen wieder unter nicht-akademische Menschen mische. Je mehr ich das an der Uni gelernte mit meiner erlebten Wirklichkeit verbinde, desto mehr kristallisiert sich für mich heraus: Der Durchschnittsmensch ist nicht "so". Er ist anders als er dargestellt wird, anders als er gemacht wird.

Sicher, wir alle schwingen blöde Parolen, wenn wir uns in die Ecke gedrängt fühlen. Und die Geschichte (nicht nur des dritten Reiches, sondern die Menschheitsgeschichte generell) hat gezeigt, zu welch grausamer Idiotie Massenbewegungen führen können. Aber so ernstzunehmen rechte Bewegungen sind, so harmlos sind meines Erachtens die meisten, die da mitlaufen. Harmlos nicht in der Masse, aber harmlos als Einzelmenschen. Und durchaus begeisterbar für andere Richtungen, wenn man sie ins Boot holt statt sie zu beschimpfen.

Ich bin der Meinung, dass, wenn jeder sich ehrlich mit seinen eigenen Vorurteilen und Ressentiments auseinandersetzt, wie es ja inzwischen vermehrt von der PoC-Community gefordert wird, er auch denen der anderen geduldiger begegnen kann. Denn keiner von uns ist unfehlbar und wir alle sind verschieden geprägt. Nur wenn wir uns selbst Raum geben, zu sein, mit unseren Fehlern, uns in einen Prozess zu begeben, uns weiterzuentwickeln und diesen Raum auch anderen zugestehen, können wir voneinander lernen. Nur durch das Annehmen anderer Lebenswelten können wir wirklich frei von Vorurteilen werden und offen für ein harmonisches Miteinander.

Solange wir davon ausgehen, dass um uns herum nur Idioten und Feinde sind, kommen wir nicht vorwärts.

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