Political Correctness - Gedanken dazu

 

Natürlich leben wir nicht in einer PC-Diktatur (PC = Political Correctness). Als Frau und Ethnologin, als um mich blickender Mensch, weiß ich, dass wir noch meilenweit davon entfernt sind, dass alle Menschen gleichberechtigt sind oder auch nur gerecht behandelt werden.

Es fängt ja schon damit an, dass ich einen barrierefreien Blog gestalten will, aber keine Ahnung habe, was ich da alles beachten muss. (Ganz davon zu schweigen, dass Word, wo ich meinen Artikel vorschreibe, das Wort offenbar nicht kennt.)

Noch immer ist es Alltag und Realität, dass viele von uns unsichtbar sind. Unsere Lebenswelten und Realität nur am Rande oder gar nicht erwähnt werden.

Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass blinde Menschen und Menschen mit Autismus genauso Zugang zu Informationen haben wie andere? Dass es zum Allgemeinwissen gehört, was man beachten muss, dass auch sie sich alle Informationen beschaffen können?

Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass es in Gebäuden genauso viele Frauentoiletten gibt wie Männertoiletten (oder mehr, weil Frauen länger brauchen), dass Unfall-Dummies auch an weiblichen Körpern getestet werden und dass ein Seifenspender dunkle Haut erkennt? Ja, natürlich sollte es das!

Trotzdem kann ich verstehen, dass Menschen sich von Political Correctness bedroht fühlen. Ich kann es verstehen, ich kann es sehen, ich kann es spüren.
Wir sind so verdammt unlocker geworden!

Zum Teil zu recht. Oder anders gesagt. Wut und Aufbegehren sind wichtig. Es ist auch überhaupt nicht schlimm, mal total versteift und angestrengt zu werden und sich in seinen Themen festzufahren. Das alles gehört zum Prozess dazu.

Letzten Endes sind aber Steifheit und Angestrengtheit nicht der Weg zum Ziel. Und in dem angestrengten Versuch, alles richtig zu machen, kann jeder von uns nur scheitern. Auch die, die es einfordern.

Schwarze Menschen, Juden, Frauen, Roma, sie alle haben inzwischen mehr oder weniger ein offizielles Sprachrohr. Aber bildet das die Realität ab? Wer geht dabei verloren?
Inzwischen bin ich mir ja nichtmal mehr sicher, ob es richtig ist, Roma nicht Zigeuner zu nennen. Denn die, die man von der Straße kennt, haben damit mitunter kein Problem. Und siehe da: Bei meinen Recherchen stelle ich fest, dass "Zigeuner" nicht wie ich es gehört hatte eine Fremdbezeichnung ist und "ziehender Gauner" bedeutet, nein. Es ist eine Eigenbezeichnung aus ihrer Sprache, die erst im NS-Reich diesen faden Beigeschmack bekam. Beziehungsweise natürlich schon früher, aber der Begriff fiel da zuerst.

Wer bin ich zu entscheiden, wie ein Mensch genannt werden will? Oder den Einschätzungen anderer zu folgen? Geht es überhaupt so sehr um Begriffe? In einzelnen Fällen sicher, ja. Wenn die Begriffe eindeutig verletzend und beleidigend sind. Aber es gibt auch Grauzonen, in denen ich gerne mein Gegenüber entscheiden lassen würde. Mich gerne auf seine oder ihre Lebenswelt einlassen würde, ohne im Hinterkopf zu haben, "dass man das ja nicht sagen darf".

Es ist seltsam, in der Mittelschicht in einem alten Bauerndorf aufzuwachsen, zum Studieren in eine andere Stadt zu gehen und wieder zurückzukehren.
Ich bin humanistisch erzogen worden, trotzdem gab es auch in meiner Familie typische Sexismen und obwohl ich Migrantenkinder (was für ein bescheuerter Begriff, kann man da nicht mal was Neues erfinden?!) immer als Teil von uns empfunden habe, wurden sie nie als Deutsche bezeichnet.
(Ich mein, das ist auch wieder ein Thema für sich, denn sich nur als "deutsch" zu bezeichnen, wenn die Wurzeln zum Teil andere sind, ist ja auch schon wieder so ein Verleugnungsding und viele grenzen sich ja auch bewusst von Deutschen ab, indem sie ihre andere Nationalität hervorheben.)
Ich bin in einem Ort aufgewachsen, in dem es schon recht viele rechteingestellte Menschen gibt, wie ich merkte als ich wieder mal länger hier war.
Ich kann aber mit den Leuten reden und umgehen. Schwarze meiner Generation können das auch. Und das ist der Punkt, der irgendwie viel zu häufig übersehen wird.

Ich bin während meines Studiums nur intellektuellen PoCs begegnet und die waren einfach sooo anders als die Schwarzen, die ich von zuhause kannte. In allem. In ihrer Einstellung, in ihrer Sichtweise, in allem halt.
Ein Beispiel, das ich immer gerne nenne ist: Wenn ich in Mannheim nen schwarzen Kerl in meinem Alter angeglotzt hab und er hat das gemerkt, war für ihn ganz klar, was das bedeutet: Die steht auf mich. Und das hat in der Regel auch gestimmt.
In Mainz wurde prinzipiell nicht zurückgeguckt. Die Leute waren total paranoid. Ihnen schien gar nichts anderes in den Sinn zu kommen als dass man sie rassistisch begafft.

Natürlich hat diese ganze Thematik viel mehr Ebenen und ich will hier nichts runterspielen oder pauschalisieren. Aber das ist der Eindruck, den ich beim Leben in zwei verschiedenen Städten gewonnen habe. Die selben Erlebnisse hatte ich beispielsweise mit Frauen mit Kopftuch. Viel leichter, in Mannheim welche anzulächeln, weil sie einfach mal zurücksehen oder auch von sich aus mal zuerst lächeln. Dabei will ich Rassismus in Mannheim nicht kleinreden. Aber die Unterschiede sind nicht zu leugnen.

Ich habe bezüglich Sexismus die selben Erfahrungen gemacht. Und deshalb stellt sich mir ganz klar die Frage, inwiefern Sexismus (und auch Rassismus und andere Diskriminierung) regional verschieden erlebt wird. Solche Fragen interessieren mich sehr. Aber als ich das mal in einer feministischen Facebookgruppe thematisiert habe, fand das keine relevant.

Stichwort: Männer hocken sich breitbeinig in die Bahn oder weichen nicht aus, wenn man ihnen entgegenkommt (Gibt da sicher irgendwelche offiziellen Begriffe für, die ich grad nicht auf dem Schirm habe). Habe ich in Mainz auf unangenehmste Weise erlebt. In Mannheim sind die Frauen da viel dreister und (somit?) die Männer weniger dreist.

Was meines Erachtens auch einfach daran liegt, dass in Mannheim bei Frauen eine gewisse Derbheit, Lautstärke und Dreistigkeit als attraktiv gilt. Ich habe hier auf jeden Fall auch Sexismus erlebt und bin mit Sexismus großgeworden. Aber durch das andere Frauenbild, das wir hier haben, habe ich vieles als weniger schlimm erlebt als ich es zum Teil von anderen mitbekomme. Ruhig sein, still sein, angepasst sein, war bei uns kein so großes Thema. Als Frau sexuell offen und verfügbar sein zu müssen allerdings, habe ich hier in Mannheim als ein viel größeres Thema erlebt als ich das von anderen Frauen kenne.

Jedenfalls wollte ich eigentlich noch darauf hinaus, dass ein sehr schlauer Mensch neulich in einem Interview gesagt hat, dass der Norm, der angeblich alle Menschen entsprechen, in Wahrheit verdammt wenige Menschen entsprechen. Sollten wir uns daran nicht endlich anpassen? Ich meine, wir erleben doch tagtäglich, wie wir aneinander geraten, weil wir wollen, dass die anderen mehr sind wie wir...

Und die Männer... ja, die weißen Männer. Haben nicht auch sie eine Daseinsberechtigung und ein Recht auf ihren Schmerz? Selbst die, die von ihrem Thron gestoßen werden?
Man muss sie nicht bemitleiden, aber wenn ich daran denke, dass einer in einer Facebook-Diskussion schrieb, früher sei alles lockerer gewesen... Er hat nicht ganz unrecht. Ich erinnere mich an diese Zeit und es herrschte eine gewisse Leichtigkeit.
Natürlich herrschte sie in erster Linie für weiße Männer. Und wir haben alles Recht der Welt einzufordern, dass man sich das ansieht. Denn wir wollen ja auch locker sein. Können, dürfen, endlich.

Aber zum einen können wir nicht erzwingen, dass sich das jeder ansieht. Wer nicht will, der will eben nicht. Und zum anderen dürfen wir uns ruhig ein bisschen Lockerheit erlauben. Auch jetzt schon, zwischendurch. Weil zwischendurch darf man auch einfach mal leben. Und auch mittendrin :).

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