Toleranz in der Kommunikation (oder: Warum Diskussionen auf Facebook ständig eskalieren.)
Diskussionen auf Facebook. Warum eskalieren sie eigentlich ständig? Wenn man genau darüber nachdenkt, ist es eigentlich klar.
Zunächst einmal tummeln sich auf Facebook Menschen aus allen Regionen Deutschlands. Das heißt, man hat einen Riesenhaufen an Mentalitäten. Mir ist schon oft aufgefallen, dass die Schmerzgrenze, was Derbheit betrifft, total verschieden ist. Was für den einen eine ganz normale sachliche Aussage ist, ist für den nächsten höchstbeleidigend.
Dazu kommt, dass ja auch Menschen aus Österreich und der Schweiz auf Facebook sind und die haben ja zum Teil zusätzlich zu dem Mentalitätsthema auch noch andere Gesetze etc. Das heißt, es kann auch sein, dass man in manchen Bereichen einfach vollkommen aneinander vorbeiredet, einfach weil man das nicht auf'm Schirm hat.
Zusätzlich zu den verschiedenen Mentalitäten (und das ist echt nicht zu unterschätzen!) kommt, dass es auf Facebook passieren kann, dass das Mädel, das seit Jahren beim schwarzen Block mitläuft mit dem NPD-Vorsitzenden von Buxtehude, dem Piratenpartei wählenden Ethnologie-Studenten und der politikverdrossenen Elektrikerin in einer Gruppe ist. Diese Leute würden im normalen Leben niemals zusammensitzen und lauthals über Politik diskutieren. Und wenn doch, dann hätten sie schon eine der Voraussetzungen dafür, dass es funktioniert, die auf Facebook nicht gegeben ist: Sie hätten sich freiwillig miteinander an einen Tisch gesetzt und allein das erfordert ein gewisses Maß an Interesse und Toleranz für andere Lebenswelten.
Auf Facebook
treffen Menschen zusammen, die nichts von der Lebenswelt der anderen wissen.
Alle Schichten treffen aufeinander. Und hier sind die Akademiker im Vorteil.
Schreiben und Lesen ist ihr Metier, nichts anderes haben viele von ihnen im
Studium gemacht. Wenn wir doch immer so viel von Diskriminierung sprechen, dann
auch hier: Ist es fair, jemandem, der nicht studiert hat, rhetorische Spitzen und
soziologische Studien um die Ohren zu hauen? Seine Art der Argumentation nicht
zu akzeptieren und ihn dann noch zu beleidigen und sich über ihn lustig zu
machen, wenn er Rechtschreibfehler macht oder irgendwas nicht so akkurat
formuliert hat wie man es in einer Doktorarbeit muss?!
Sorry, das ist ganz klar Diskriminierung. Es ist Diskriminierung in Reinform:
Dem anderen Dummheit unterstellen, den anderen kleinhalten, das komplette
Programm.
Menschen,
die nicht studiert haben, sind nicht dumm. Solange Menschen, die studiert
haben, sich über andere Menschen erheben, haben wir ein Problem. (Gibt es für
diese Form von Diskriminierung eigentlich ein Wort?)
People of Colour wollen nicht wie Scheiße behandelt werden.
Frauen wollen nicht wie Scheiße behandelt werden.
Homosexuelle wollen nicht wie Scheiße behandelt werden.
Transmenschen wollen nicht wie Scheiße behandelt werden.
Menschen mit Behinderung wollen nicht wie Scheiße behandelt werden.
Arbeiter und Co wollen nicht wie Scheiße behandelt werden.
Ich drifte
aber ab. Es geht hier ja eigentlich um Facebook. Das ist mir nur grade einfach
voll aufgefallen. Vielleicht mach ich dazu noch nen anderen Artikel.
Es gibt bei
Facebook noch ein paar Punkte, die eher technischer Natur sind. Nämlich dass
Facebook einen total reizüberflutet und dass irgendwie eh schon stressig ist.
Oft sieht man was, regt sich darüber auf und kommentiert es schnell.
Smartphones begünstigen das natürlich.
Facebook ist auch recht unübersichtlich, finde ich. Im Vergleich zu früheren
sozialen Netzwerken. Kommentare und Posts verschieben sich ständig und sind oft
nicht so schnell wiederzufinden, wenn man sie ausversehen weggeklickt hat. Auch
das führt schon zu einem gewissen Stress.
Das heißt, wir sind alle total verschieden, wir sind alle irgendwie gestresst
und treffen dann noch aufeinander.
Hier sind sicher die im Vorteil, die es gewohnt sind, sich mit verschiedensten
Menschen zu umgeben. Die sich in verschiedenen Lebenswelten bewegen können.
Das ist etwas, das immer wichtiger in der Welt wird und man kann es einsetzen,
um eine deeskalierende Atmosphäre reinzubringen.
Wir alle wissen, dass oft einer reicht, um miese Stimmung zu verbreiten oder
auch in einer Facebookdiskussion die Stimmung richtig mies zu machen. Aber das
funktioniert auch umgekehrt. Jeder von uns ist so unglaublich machtvoll und in
dem Moment, wo man seine Energie einsetzt, um zu schlichten, zu vermitteln oder
einfach nur neue Sichtweisen aufzuzeigen, verändert sich etwas an der Stimmung.
Wenn einer sich nicht provozieren lässt, nicht auf Spitzen einsteigt, sachlich
und bei sich bleibt, hat das eine ungeheure Macht.
Deshalb sind Sätze wie "Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst
für diese Welt" oder "Nur du selbst kannst das Leben um dich herum
verändern" so wahr, auch wenn man auf den ersten Blick vielleicht denkt:
"Waaas? Was soll ich denn tun???"
Denn grade in sozialen Netzwerken merkt man so gut, was im menschlichen
Miteinander und auch in zwischenmenschlichen Beziehungen so oft passiert.
Unreflektiertes, unbewusstes Aufeinander reagieren.
Der eine,
Linksgeprägte, hört irgendein Wort, sagen wir mal "Volk" oder
"Meinungsdiktatur" und sofort geht der Film los: "Aaaah, scheiße,
schon wieder ein Rechter. Ich muss ihn bekämpfen! Los, drauf! Worte müssen ihn
umstimmen! Ich hab die besseren Argumente! Wenn ich jetzt nix sage, haben wir
morgen das vierte Reich vor der Tür stehen!"
Der Typ, der "Volk" gesagt hat oder "Meinungsdiktatur"
denkt sich: "Hä, was is'n jetzt los?" Das is halt die Art, wie man
redet bei ihm in der Gegend. Er findet's halt scheiße, dass er nicht mehr
'Zigeunerschnitzel' sagen soll und dass ihm hochnäsige junge Leute vorschreiben
wollen, was er zu sagen und wie er zu leben hat. Dann machen sie sich auch noch
über seinen Dialekt lustig und verkaufen ihn sonst für blöd. Es war ja echt
schöner als man noch seine Ruhe hatte und die Jungen nicht so frech waren und meinten,
sie allein hätten die Welt verstanden, wo sie doch beim Mauerfall noch in die
Windeln geschissen haben und keine Ahnung von der Vergangenheit haben.
Ein bisschen
mehr Respekt. Uns allen fehlt es so dermaßen an Respekt. Aber nicht
grundsätzlich. Ich glaube, die wenigsten von uns sind wirklich respektlos und
vollkommen intolerant gegenüber anderen Lebenswelten.
Es hat sich
eben viel Wut aufgebaut. Grade die von uns, die in der Gesellschaft jahrelang
so wenig Raum hatten, sind oft noch wütend und wollen die Veränderung
vorantreiben.
Dabei darf man aber nicht vergessen, dass es auch andere Menschen gibt, die
wenig Raum in dieser Gesellschaft hatten. Und dass diese Realität auch gesehen
werden will.
Und dass jeder in seinem Tempo lernt und versteht und sich auf Veränderungen
einstellt. Das ist ja gesellschaftlich auch nix anderes als in zwischenmenschlichen
Beziehungen. Jeder in seinem Tempo, jeder auf seine Art.
Wir alle trauen uns ja gar nicht mehr, mit offenem Herzen und in Liebe auf die
Straße zu gehen, aber vielleicht braucht es genau das...
Im Endeffekt
sind wir das Volk (Ja, ich verwende den Begriff auch dann und wann. Ich weiß
auch ehrlichgesagt gar nicht, was ich alternativ sagen soll und bin mir sicher,
dass es nicht per se ein rassistischer Begriff ist. Ich verkneife es mir jetzt,
zu googlen). Und wenn wir es schaffen, uns zusammenzutun, dann sind wir stark.
Ich meine, ernsthaft? Wir identifizieren uns mehr mit den Politikern, die in
vielerlei Hinsicht unser Land verschandeln, als mit uns gegenseitig? Sorry, wie
soll sich denn bitte so was verändern?
"Hey, Politiker! Du hast zwar meine Renten gekürzt und es ist dir voll
egal, dass ich wahrscheinlich mit 80 noch arbeiten oder Pfandflaschen sammeln
muss, aber hey, dir vertrau ich immer noch mehr als dem Otto von um die Ecke,
weil der ... *beliebiges einsetzen*."
Dabei verpassen wir es, uns aufzulehnen gegen die kackendreisten
Rentenkürzungen.
Wir verpassen es, uns, unseren Eltern und Großeltern Wohngemeinschaften zu
organisieren oder als Gemeinschaft ein Haus zu kaufen/zu bauen.
Wir verpassen so vieles, während wir uns gegenseitig ankacken, beleidigen,
misstrauen und für dumm erklären. So vieles, das wir gemeinsam anpacken
könnten.
Und, meine
Fresse, man muss ja auch nicht jeden leiden können. Vielleicht wird Otto für
immer latent sexistisch und rassistisch bleiben, auch wenn sich die Welt um ihn
rum längst verändert hat. Na und? Er hat dann aber keine Macht mehr dadurch.
Weil wir uns wehren und die Gesellschaft hinter uns haben. Und vielleicht sind
wir ja dann und wann genug im Reinen mit uns, dass wir es einfach mit einem
dummen Spruch wegstecken können.
Denn wenn der Otto mir sagt, dass ich zu dick bin, dann findet er das
vielleicht. Aber vielleicht find ich ja auch seine Glatze einfach sauhässlich.
Oder ich frage ihn lächelnd: "Ich weiß ja nicht, was du für ein Problem
mit mir hast. Ich habe keins mit dir."
(Irgendwas dazwischen geht natürlich auch.)
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